Es gibt Musik, die gehört einfach auf eine Schallplatte und sollte bestenfalls auch dort bleiben, damit ihr Charakter nicht verfälscht wird. Natürlich hat die zusätzliche digitale Konservierung ihre klare Berechtigung, da so die Songs auch außerhalb der Reichweite des heimischen Plattenspielers gehört werden können. Aber der wahre Spirit einer Aufnahme schwingt in der Regel nur mit, wenn gewisse Randbedingungen gegeben sind, die eine digitale Kopie leider nicht besitzt. Und das kann man selbst dann spüren, wenn man erst nach dieser Zeit geboren und aufgewachsen ist.
Das Live-Album der US-amerikanischen Psychodelic-Rockband Iron Butterfly aus dem Jahr 1970 mit dem wenig überraschenden und nicht gerade vor Kreativität sprühenden Titel Live* gehört ohne Zweifel dazu. Bereits mit ihrem Debut-Album Heavy im Jahr 1968 starteten die Jungs aus San Diego recht schnell durch und übertrafen diesen Erfolg bereits im selben Jahr mit ihrer nächsten Scheibe In-A-Gadda-Da-Vida* nochmals deutlich. Was lag also näher, ebendiesen Erfolg irgendwann gemeinsam auf Konzerten mit den Fans zu feiern und anschließend auf Vinyl zu pressen?!
Das tat die Band im Mai 1969 und wurden dabei von Richard Podolor für ATCO Records produziert, der während seiner langjährigen Karriere zeitweise auch Namen wie Steppenwolf oder auch Alice Cooper zwischen seinen erfolgreichen Fingern hatte. Als das Werk dann im April des darauffolgenden Jahres weltweit in die Läden kam, konnte es sich in den amerikanischen Billboard-Chats 23 Wochen lang in den Top 20 halten.
Ein Zeitgeist schwebt durch den Raum
Insgesamt finden sich „nur“ sechs Songs auf der Scheibe, wovon sich der letzte im Bunde auf der gesamten B-Seite ganzflächig ausbreitet. Dazu aber später mehr.
Die Auswahl der Titel stellt erwartungsgemäß einen allgemeinen Querschnitt des bis dato recht kurzen Band-Schaffens dar und wird mit In the Time of our Lives eröffnet. Bereits die ersten Töne lassen den „ungeübten“ Hörer aufhorchen, da sie ein typisches Instrumenten-Wirrwarr der damaligen Zeit durch die Lautsprecher schieben und unmissverständlich klarmachen, in welcher musikalischen Epoche wir uns gerade befinden. Dieses konfuse Konstrukt löst sich aber schnell auf und setzt sich in einer typischen Song-Struktur fort, die damals im Psychodelic Rock bezeichnend war.
Besonders spannend ist zwischendurch das Spiel des Tontechnikers mit der Lautstärke, die als besonderer Akzent an ausgesuchten Stellen spitzenweise erhöht wird.
Vorangetrieben wird das Stück durch den sich durchziehenden „Walzertakt“, der prägend von Ron Bushy an den Drums zum Besten gegeben wird.
Daran anschließend zeigt Iron Butterfly mit Filled with Fear, wie das Ganze auch etwas dynamischer geht, ohne dabei den Charakter des „großen Ganzen“ zu verändern. Geisterscheue Menschen sollten diesen Song nicht unbedingt um Mitternacht hören, da ein kleines Schlossgespenst den einen oder anderen kurzen Gastauftritt hat und sich mehr oder weniger kunstvoll in das Gefüge einbringt. Der Titel ist halt Programm.
Dem plötzlichen Ende folgt ein frischer Anfang
Nach dem klaren und zweifelsfreien Ende von Filled with Fear wird es etwas moderner. Soul Experience klingt frischer als seine beiden Vorgänger, wobei auch hier auf typische Soundelemente nicht verzichtet wird, die sich aber immer wieder im bezeichnenden Refrain des Songs auflösen und am Ende etwas eigenwillig enden.
Nach einer kurzen Ansprache von Sänger und Keyboarder Doug Ingle folgt nun vom Album Heavy der mit 2:48 Minuten recht kurz ausgefallene Song You can’t win, der ebenfalls etwas radiotauglicher und „nett“ daherkommt.
Die letzten 3:20 Minuten des A-Seite werden mit dem fragenden Titel Are you happy gefüllt. Wer bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht happy sein sollte, wird es vermutlich spätestens mit dem nächsten Song werden, der (wie bereits erwähnt) die gesamte Spielzeit der B-Seite in Anspruch nimmt, was in diesem Fall grobe 19 Minuten sind.
Und dieser Song hat es in sich! Wer In-A-Gadda-Da-Vida noch nicht kennt, sollte sich dieses musikalische Glanzstück auf jeden Fall vormerken. Bereits auf dem gleichnamigen Studio-Album wurde damit ein Zeichen gesetzt, das in der Musikwelt unübersehbar geworden ist. Aber die auf diesem Album eingefangene Realität eines Konzerts legt noch einen ordentlichen Zahn zu!
In a gadda da vida, baby, don’t you know that I’ll always be true.
In A Gadda da Dida
Sehr schnell gibt er den Rahmen vor, in dem sich alles weitere bewegen wird. Die Richtung wird mit einem Groove eingeschlagen, der bezeichnend für die damalige „wilde Jugend“ war und mit Lee Dormans Bass-Gewitter die Konzerthalle erschütterte. Nach nicht ganz drei Minuten übernimmt die Orgel das Kommando und zieht alle damaligen Register, um nach einer weiteren groben Minute das Zepter an Erik Brann mit seiner Gitarre weiterzureichen. Auch Brann hört man den Spielspaß an. Ab der sechsten Minute folgt dann das, was die Fans so lieben: Das nie endende Drumsolo von Ron Bushy, welches von der Menge abgefeiert wird! Und wer genau hinhört, bemerkt sogar einen Fan im Hintergrund, der (oder die?) dieses Solo mit einem ganz eigenen Gesangspart überraschend gut begleitet und so das Live-Feeling perfekt macht. Das sind die Momente, die Konzerte einzigartig werden lassen. Irgendwann dann bringt sich das Keyboard wieder ins Spiel und wird nach etwas mehr als zwei Minuten von der Gitarre eingerahmt. Beide drehen die progressiven und psychedelischen Ventile immer weiter auf und münden plötzlich und unerwartet wieder in dem Groove, den wir vom Anfang des Stücks bereits kennen. Und mit diesem Groove endet auch In-A-Gadda-Da-Vida und schließt dieses Album gekonnt ab.
Gerade dieser letzte Song ist ein großartiges Stück Musikkultur, das die eine oder andere mögliche Schwäche der vorherigen Songs schnell vergessen lässt. Am Rande sei noch erwähnt, dass In-A-Gadda-Da-Vida eines der ersten Stücke war, dass sich über eine gesamte Plattenseite erstreckte. Ähnliche bekannte Ewiglang-Songs folgten später beispielsweise auch von Genesis mit Supper’s ready oder auch von Pink Floyd mit Echoes. Außerdem waren die zu hörenden Schlagzeug-Eskapaden in Form eines Solo-Parts zu dieser Zeit noch sehr ungewöhnlich.
Wadde-hadde-dudde-da?
Übrigens gibt es über die Namensfindung des Titels unterschiedliche Geschichten. So wird gemunkelt, dass Ron Bushy den ursprünglichen Titel In the Garden of Eden nicht richtig verstanden hatte, als Doug Ingle ihm diesen zurief, weil die Musik im Umfeld zu laut war. Andere Quellen reden von Drogen, die eine nicht ganz unwesentliche Rolle gespielt hatten. Und auch über die musikalische Entstehung von In-A-Gadda-Da-Vida gibt es unterschiedliche Versionen. Aber wie auch immer es gewesen sein mag, die Hauptsache ist doch, dass der Song Spaß macht. Und das tut er zweifelsohne, was natürlich auch für den Rest des Albums gilt!
Ich finde, trotz der kurzen Gesamtspielzeit von etwas weniger als 37 Minuten lohnt sich das Live-Album durchaus. Man spürt klar und deutlich das musikalische Gefühl der damaligen Zeit und freut sich immer wieder speziell auf den letzten Song. Die sonst oftmals eher ungeliebte B-Seite einer Schallplatte wird hier zum Highlight der Hörsession. Natürlich muss man ein wenig in Stimmung für solche Art der Musik sein. Wenn man aber einen gewissen Bezug zur gelösten und freien Hippie-Kultur oder dem gewissen „Rebellentum“ der 70er Jahre hat und sich hier ein Stück weit wiederfindet, sollte das eigentlich das kleinste Problem sein.
Manche Momente des Albums mögen in modern geprägten Ohren vielleicht etwas verstörend oder ungewohnt klingen. Wer sich aber mit dem frühen David Bowie, Jim Morrison und seinen Mannen oder Arthur Brown anfreunden kann, wird Iron Butterfly gegenüber sicherlich nicht abgeneigt sein.
Mit diesem Album kann man in eine Zeit und ihre Musik eintauchen, die vielleicht nicht unbedingt besser, aber möglicherweise unkomplizierter war. Und es war auch die Zeit, in der Jimi Hendrix gerade erst das E-Gitarrenspiel maßgeblich komplett umgekrempelt hatte und sich die Felder der Musik auf dieser Basis neu formten und viel experimentiert wurde.
Einen wichtigen Teil davon findest du auf diesem Album.
Und nicht vergessen: Musik ist ein Botschaft, die jeder anders versteht. Und eigentlich reicht es, wenn sie einfach nur schön ist!