Das Leben schreibt die schönsten Geschichten. Und eine davon ist die der gefühlten Erfolglosigkeit von Sixto Rodriguez, die aber eigentlich keine war. Ganz im Gegenteil! Und dazu war Rodriguez auch noch ohne sein Zutun und Wissen zum Ausdruck des Widerstands geworden.
Aber fange ich mit dieser etwas längeren Story einfach mal von vorne an.
Sixto Diaz Rodriguez ist ein US-amerikanischer Singer-Songwriter, der am 10. Juli 1942 in Detroit geboren wurde. Schon früh kämpfte er sich mit seiner Gitarre von einer Kneipe zur nächsten und verdiente so mehr schlecht als recht seinen Lebensunterhalt.
In einer dieser Kneipen entdeckte ihn irgendwann in den 60er Jahren der Produzent und Manager Harry Balk von Impact Records, der auch schon Namen wie Johnny and the Hurricanes oder Little Willie John unter Vertrag hatte. Mit Bulk nahm Rodriguez 1967 seine erste eher erfolglose Single I’ll Slip Away auf.
Kurze Zeit später wechselte Bulk zu Motown Records, da sein alter Arbeitgeber Impact Records zwischenzeitlich pleitegegangen war. Währenddessen versuchte Rodriguez, sein Glück bei Sussex Records und nahm dort 1970 sein Folk-Album Cold Fact* auf.
Leider blieb auch damit trotz vieler guter Kritiken der Erfolg aus. Einen weiteren und letzten Anlauf nahm er im Jahr 1971 mit dem Album Coming from Reality, das ebenfalls floppte.
Wenn du denkst, das war’s, heißt es nicht, dass du recht hast.
Damit war die Geduld des Labels und Rodriguez Kraft und Hoffnung am Ende. Er zog sich aus dem Musikgeschäft zurück und verdiente seinen Lebensunterhalt als Hilfsarbeiter auf dem Bau, in einer Tankstelle oder was sich sonst so anbot.
Mit dieser eher langweiligen und recht typischen Geschichte könnte nun alles gesagt sein. Ist es aber nicht, denn seine Musik entwickelte irgendwann eine unglaubliche Eigendynamik, die niemand erwartet hatte.
Im Jahr 1972 startete plötzlich die Single Sugar Man vom Album Cold Fact aus einem unerklärlichen Grund unter anderem in Australien und Neuseeland durch. Dort wurde der Song in den Radios am laufenden Band gespielt, was 1977 zur Veröffentlichung einer Kompilation führte, die in Down Under sogar Gold-Status erreichte.
Leider hatte Rodriguez davon nicht viel, da er keinerlei Kenntnis über seinen plötzlichen Erfolg hatte. Und Tantiemen gab’s sowieso keine, da keine bindenden Verträge mehr bestanden.
Tschüss, Erfolg! Ich komme wieder!
Tatsächlich war der Erfolg aber so groß, dass 1979 ein Konzertveranstalter Sixto Rodriguez nach Australien holte. Hier spielte er vor ausverkauften Hallen und ging 1981 sogar mit Midnight Oil auf Tour. Anschließend verabschiedete sich Rodriguez aber erneut aus nicht bekannten Gründen von der Bühne.
Alleine das war schon eine ziemlich abgefahrene Sache. Aber es wird noch viel besser!
Parallel dazu entdeckte die von Apartheit geplagte Jugend in Südafrika die Songs von Sixto Rodriguez und erkoren diese nach und nach zu ihren Protesthymnen. Quasi der Bob Dylan Südafrikas mit unzählbaren Fans, deren Held er war. Das führte natürlich unweigerlich zu einer Zensur durch die Regierung, was aber erwartungsgemäß einen zusätzlichen Booster auslöste und die Musik von Rodriguez zum unumstößlichen Soundtrack der damaligen Protestbewegung machte. A Star was born!
Als „Sahnehäubchen“ kam hinzu, dass die tollsten Geschichten über Sixto Rodriguez angeblichen Tod verbreitet wurden. Vom Selbstmord auf der Bühne bis hin zum Drogentod war jedes publikumswirksame Klischee dabei. Das befeuerte natürlich den Kultstatus und ließen Rodriguez zu einer Mischung aus Genie und Ikone aufsteigen.
Als Ikone stirbt es sich nicht so schnell.
Dabei soll einer seiner frühen Fans Steve Biko gewesen sein, dessen schlimme Geschichte von vielen Musikern in Songs verarbeitet wurde. Einer der wohl bekanntesten davon ist von Peter Gabriel, der 1980 mit dem Titel Biko ein weltweit beachtetes Mahnmal geschaffen hatte.
Rodriguez selber aber werkelte währenddessen weiterhin als Hilfsarbeiter auf dem Bau vor sich hin und hätte von diesem Erfolg vermutlich auch nie etwas erfahren, wenn, ja wenn da nicht ein südafrikanischer Fan gewesen wäre, der irgendwann mehr über Sixto Rodriguez wissen wollte, ihn suchte und 1998 sogar fand.
Durch die so entstandene Verbindung machte sich der ahnungslose Superstar auf den Weg nach Südafrika und konnte vor Ort kaum fassen, was für ein Hype um ihn und seine Songs entstanden war.
Da sich die Zeiten dort zwischenzeitlich etwas geändert hatten, konnte Rodriguez in Südafrika im gleichen Jahr noch mehrere erfolgreiche Konzerte geben und so sein zweites Comeback erleben. Dieser Auftakt wurde über die folgenden Jahre hinweg durch weitere Konzerttouren kreuz und quer durch die Welt fortgesetzt.
Das Hilfsarbeiterleben hatte nun endgültig ein Ende gefunden.
Diese wunderbare Geschichte ist 2012 sogar durch eine wirklich tolle und bemerkenswerte Dokumentation mit dem bezeichnenden Namen Searching for the Sugar Man verfilmt worden.
Aller guten Dinge sind drei Anläufe.
Jetzt habe ich so unglaublich viel über die wunderbare Geschichte von Sixto Rodriguez und seiner Musik erzählt, dass es nun wirklich an der Zeit ist, das Album Cold Fact einmal genauer zu betrachten.
Tatsächlich fällt sehr schnell ein typischer Singer-Songwriter-Stil mit einem vertrauten Blues- und Folk-Einschlag auf, der zwischendurch auch mal etwas rockig aufgepeppt wurde. Dabei wirken die Songs recht unauffällig und trotzdem eigenständig.
Schon der eher ruhige Opener Sugar Man ist zwar gezeichnet vom Zeitgeist der beginnenden 70er Jahre, hat aber trotzdem eine eigene Botschaft. Dabei verleiht ihm ein kunstvoll begleitender Theremin-Sound, der auch mal mit dem einen oder anderen passenden Synthesizer-Klang ergänzt wird, einen leicht mystischen Charakter.
rockin‘ on heavens door!
Danach weckt dich Rodriguez mit Only good for Conversation auf und lässt die E-Gitarre klangvoll zu Wort kommen. Es darf ein wenig gerockt werden.
Was dann folgt, hätte irgendwann auch von Alexandra mit einem deutschen Text versehen werden. Die begleitenden Blechbläser und auch die weiteren Begleitinstrumente im Song Crucify your Mind lässt aus heutiger Sicht den Hörer etwas schmunzeln und wirken irgendwie wunderbar „typisch“.
This Is Not A Song, It’s An Outburst: Or, The Establishment Blues ist einer der längsten Songtitel, die ich kenne und erinnert mich ein wenig an das walisische Städtchen mit dem längsten Stadtnamen Europas. Dafür ist der Song selber umso kürzer und wirkt musikalisch ein wenig wie ein etwas ruhigere Version von Bob Dylans berühmten Subterranean Homesick Blues.
Anschließend bricht mit Hate Street Dialogue das Hippie-Zeitalter aus. Sofort sehe ich das Woodstock- oder das von meinen Mitbewohnern so geliebte Burg-Herzberg-Festival vor meinen Augen und viele gut gelaunte Menschen. Herrlich!
Mit Forget it können dann alle eingegroovten Hippies und auch jeder andere ganz entspannt irgendwo hinfliegen.
Auch der nächste Song Inner Circle Blues beginnt ruhig, baut sich aber nach und nach auf und bekommt seine gesamte Fülle nach einer groben Minute. Zeitweise wird er dabei mit akzentuierten Blech- und Holzbläsern und Streichern ergänzt, die den leicht poppigen Swing Blues aufzulockern.
I wonder how many times you’ve been had. And I wonder how many plans have gone bad!
Sixto Rodriguez – I wonder
Und dann kommt er, der Song, den die Leute auf den Konzerten quasi alle kennen und mitsingen: I wonder. Die Richtung gibt ein eine dominante Bassline vor, die dem Song den Weg zeigt. Und ein bisschen Hammond darf auch nicht fehlen. Inhaltlich spürt man deutlich Dylans Botschaften und vermisst nach der Spielzeit von 3:34 Minuten am Plattendreher die Repeat-Taste, da dieser Song tatsächlich zu mehrfachem Hören verleitet.
Like Janis ist eine verhältnismäßig leichte Brise, die typisch für diese Zeit ist.
Danach folgt Gommorah (a Nursery Rhyme). Hier steht der Blues im Vordergrund, welcher von Kinderstimmen und stellenweisen Stilbrüchen ergänzt wird, was dem Hörer eine gewisse musikalische Tolranz abverlangt.
Als vorletzter Titel lässt Rich Folks Hoax eine wenig Fernweh und Nachdenklichkeit aufkommen.
Geschlossen wird das Album mit Jane S. Piddy. Hier spürt der Hörer noch einmal den echten Singer-Songwriter Sixto Rodriguez. Eine wunderbare, leicht klagende Ballade, wie man sie von dieser Zeit von einem solchen Menschen ganz klar erwartet. Wunderbar! Ich empfehle, den Song wirklich bis zum Ende zu hören!
Musik erinnert uns leider nicht nur an das Gute im Menschen!
Insgesamt hat dieses Album einen gewissen inhaltlich zeitlosen Charakter. Es wird zu jeder Zeit irgendwo auf der Welt einen Ort mit Menschen geben, die diese Songs zu ihre Hymnen erklären können, was mich etwas nachdenklich macht. Schließlich stehe ich als Kater Arafat insbesondere für Gleichheit, Freiheit, Gerechtigkeit, Unabhängigkeit und das faire und respektvolle gesellschaftliche Miteinander. Und ich würde mir wünschen, dass alle Menschen versuchen würden, diese Werte so intensiv wie möglich zu leben.
Musikalisch spürt man eine gewisse Eigenständigkeit. Immer wieder merkt man, wie Sixto Rodriguez seinen vermutlich etwas eigenwilligen Charakter eingebracht hat. Und das ist auch gut so! Denn das gibt der Scheibe Leben und einen nachhaltigen Sinn. Dennoch gibt es an der einen oder anderen Stelle durchaus Parallelen zu anderen Songs verschiedener Künstler, die aber nicht störend sind.
Fans von Bob Dylan und vielleicht auch Neil Young oder Leonhard Cohen sollten auf jeden Fall mal ein Ohr bei diesem historischen Meilenstein riskieren.
Schnapp dir einfach ein entspanntes Tässchen Tee, mach’s dir gemütlich, lass dich auf dieses kleine große Stück Musikgeschichte ein und nutze sie für deine ganz persönliche Revolution.
Und nicht vergessen: Musik ist ein Botschaft, die jeder anders versteht. Und eigentlich reicht es, wenn sie einfach nur schön ist!